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Häuptling Weise Strähne

„Vier Zeiten - Erinnerungen“ von Richard von Weizsäcker

Meine Damen und Herren!
Der liebe Gott war wahrscheinlich außer Haus oder ohnmächtig. Oder ist erst gar nicht gefragt worden. Vielleicht hat er aber auch einfach keinen Einfluss auf die Spiegelbestsellerliste. Na, jedenfalls eine elendig lange Ewigkeit auf Platz 1:
„Vier Zeiten“ -
eine Autobiographie, selbst gestriegelt und gepinselt von Richard Freiherr von Weizsäcker, eine Autobiographie, die es in sich hat, und zwar alles: Auto, Bio und Buchstaben. Doch leider nur - von Leben keine Spur!
Vom ersten bis zum letzten Rauchzeichen gelingt Häuptling 8. Mai die atemberaubende Spannung und atmosphärische Dichte von Kaugummi aus Poona. Kostprobe?
„Die Mutter begleitete die Entfaltung eines jeden ihrer Kinder mit der tiefen Kraft ihrer Liebe. Ein lautes Wort habe ich zeit­lebens nicht von ihr gehört.“
Tja, dumm gelaufen, muss man da wohl sagen.
Zu der abenteuerlichen Macke, selbst jahrzehntelangen Briefwechsel von Alpha bis Omega zu reimen und zu versen, gesellt sich am Hofe derer von Weizsäcker noch der Hang, feine, feine Aquarelle zu äh ... aquarel­lieren. Das esoterische Rumgekleckse mit Wasser, Farben, viel Getue & Gemache, also Aquarellieren, muß als familiärer Hauptzwang quasi die gesamte Sippschaft versippt haben: Der Oppa aquarellierte, die Omma aquarellierte, die Uromma sowieso, der Uroppa, Tanten, Onkel, Enkel - einfach alle. Da aquarellierte zusammen, was nicht ganz dicht war.
Kostprobe! Und wieder muß die Mama ran.
„Das Aquarellieren wurde ihr zur zweiten Natur.“

So, et reicht! Ich will hier nicht den Eindruck erwecken, als hätte Richard Freiherr v. Mumpitz nix anderes im Kopf als Wasser & Pinselmissbrauch. Denn nicht zum Aquarellieren ward er geboren, sondern zum Delirieren. Wobei in seinem Delirium das Aquarellirium immer auch ein stückweit durchnässt. Kostprobe. Und wieder muss die Mama ran.
„Argumentiert sie im Gespräch, dann geschieht es nicht mit den scharfen Instrumenten des Holzschnittes, sondern mit dem Zauber zarter Wasserfarben.“
Nu ist es aber auch nicht so, dass der feine Herr Freiherr seine ganze lange Schwarte lang nur über die liebe Mama labern täte. Im Gegenteil: Frauen kommen im Leben dieses Feministen der 1. Stunde praktisch überhaupt nicht vor. Nicht mal seine eigene. Halt, stop, stimmt nicht! Mindestens 3 Mal erwähnt er „Mariannes stets sachkundige und liebevolle Betreuung des Gartens der ganz und gar nicht protzigen Villa Hammerschmidt.“ Und auf einem Photo sieht man sie ganz allein, wie sie am ganz und gar nicht protzigen Gartentisch der ganz und gar nicht protzigen Veranda in ein schmales Büchlein schaut, ganz allein, mit dem Titel: „Suchtkranke in der Nachsorge – Inhalte, Angebote, Erfahrungen“.

Nein, das Weib is nix für Weizi-Feixi! Er hat’s da lieber mit „groß­herzigen, bescheidenen und heilignüchternen Männern
voller Reife ihres Wesens und bewegender Anteilnahme, ausgestattet mit der liberalen Distanz zu Bürokratie und Parteien und lebenslanger Treue zum König.“
Und allemann samt & sonders mit „der nur ihnen eigenen, unvergleichlichen, persönlichen, ja, individuellen, unverwechselbaren“ ... äh ... ...Unverwechselbarkeit. Da schießen sie wie Glibbermorchel aus der Fäulnis, die Jungs mit ihren „guten Augen und warmen Herzen, ihrer forschenden Suche, neugierigen Hingabe und ihrem sicheren Stilgefühl.“ Einer von diesen Typen hat sogar gleich drei Marotten anner Hacke, und zwar „die Triade der Nützlichkeit,
der Festigkeit und der Schönheit.“

Dass sich da seine einsame Frau und Rasenmäherin über Angebote
und Erfahrungen von Drogisten aller Art informiert, das macht sie dem Leser direkt ... wieder sympathischer.
Egal.
Kehren wir zurück zu Richard, dem Unverwechselbaren! Daß dem Häuptling 'Weise Strähne' bei seinen „denkwürdigen, zutiefst menschlichen Begegnungen“ schnurzpiepenschnuppi ist, welche unverwechselbare Kreatur er jetzt wieder zulallt, is' klar; ob Bischof Tutu oder Friedrich Nawatnu, Schewardnadse oder die hl. 3 Könige, Ernst Jünger oder Prinz Bupupil, der noch Jüngere, ist gehüppt wie gedüppt. Und daß er alle seine „besonders wertvollen Gesprächspartner“ mit der verschimmeltsten aller verschimmelten Innerlichkeits-Prosa vollschleimt und damit eigentlich nur sich selber meint, ist wohl die unangenehmste Wahrheit, die diese 835 Gramm schwere Worthülse offenbart, diese unappetitlichste Selbstvergottung, die jemals zwischen zwei Buchdeckel gewürgt worden ist.

Bei soviel taktisch klugem Realitätsverlust ist es dann auch kein Wun­der, dass der gute Sohnemann seinen lieben Papi nachträglich zum lebenslangen Widerstandskämpfer hochphantasiert, zu einem Wider­standskämpfer gegen die sog. „Dämonie des Bösen“, oder auch „Dunkle Zeit“ genannt; ausgerechnet seinen Papi, einen Mann, der
bis 1943, wo alle Öfen auf Hochtouren liefen, als Unterschriftenautomat im Auswärtigen Amt aber auch noch unter jede Transportliste sein 'Heile, heile Gänschen' setzte.

Und alle sind se Opfer: der, der glaubte, und der, der dran glauben musste. Vom 'Weizsäckern', also von der hohen Kunst der ewigen Gleichmacherei, hätte sich Pol Pot noch 'ne Scheibe abschneiden können. Ein altes, fundamentalterroristisches Sprichwort aus Algerien lautet:
"Bestreiche die Schnauze deines Kojoten mit Käse, und die ganze Welt wird ihm gleich - Schmierkäse."

Jan. 1998
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