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Klingelingeling, hier kommt der Eiermann

„Letzte Tänze“ von Günter Grass

Meine Damen und Herren!
Offenherzig und blond, wie er nu’ mal ist, nennt der alberne Modelackel Wolfgang Joop seinen Pillermann-Roman mit dem Titel „Im Wolfspelz“ eine „Autofiktion“. Aber mit welcher Absicht hackt sich Günter Grass hier so was in die Maschine?

„Nein, du beißt ihn nicht ab,
den kahlköpfigen Hinweis auf kurzes Glück.

Moment, der Höhepunkt kommt ja noch!
So bleiben uns beide Eier
heil und auf Vorrat.“

Prost!

Nun, liebe Deutschlehrer und Oberstudienvorräte,
seitdem die neuesten Sexualgedichte von Günter Grass offen auf’m Tisch rumliegen, ist viel darüber gespottet worden. „Notgeile Rammel­gedichte“ seien sie, und „als Masturbationsvorlagen eher ungeeignet“. (Stimmt. Hab ich ausprobiert.) Und aus seinem kalten Herzen machte jeder durchschnittliche Spiegel-Leser wie üblich eine sarkastische Wortspielhölle und rief, man solle doch, bitt’schön „auch über die letzten Sekrete des Herrn Grass besser lieber Gras wachsen lassen.“
Doch so wird man, so meine ich, dem GeiNaZ, dem geilsten Nobelpreis-
träger aller Zeiten, nicht gerecht. Günter Grass, der große Mentor der deutschen Abschreckungsliteratur, hat Besseres verdient. Nämlich, dass wir uns Folgendes mal näher anschauen:

„Wie Tiere leckten wir uns
und fanden später – satt und matt –
mit selbiger Zunge zivil geordnete Wörter,
einander die Welt zu erklären:
den Anstieg der Benzinpreise,
die Mängel im Rentensystem
das Unbegreifliche der letzten
Beethoven-Quartette.“

Was will er?
Bzw.:
Was hat er?
Ich glaube, das Wort „Rentensystem“ kann uns hier einen möglichen Hinweis geben: ‚Die Zigarette danach’ kennt man ja. Und dass manche Menschen jenseits der dreißig nach gelungenem Geschlechtsakte heutzutage unbedingt die Benzinpreise besprechen müssen, würd’ ich inzwischen auch als normal abhaken. Das Thema Rente hingegen erscheint mir da aber schon ein bisschen bemerkenswerter. Nur: 76-Jährige, meine Damen und Herren, die zudem berufsbedingt gar keinen Anspruch auf Rente haben ... da wird’s dann rührig, ja, fast
schon praktisch – sozialdemokratisch:

„Komm, lieg bei mir,
solang mein Einundalles steht
und wichtig tut,
als stünd er zum Beweis,
worum in aller Welt
es laut Statistik geht:
nah dem Polarkreis,
in der Wüste Gobi koitieren
selbst Greise noch,
bevor sie kollabieren

Bouah!
und suchen Lustgewinn
um jeden Preis.
Drum bitt ich dich,
Geduld als Stütze zu begreifen,
bis er – du staunst – beginnt, sich zu versteifen.“


Wat is dat?
Karl Dall im Endstadium ...
Oder Johannes Heesters auf frischer Tat ertappt?

Aber das ist gar nicht der Punkt, Kinners. Keiner hat was gegen kopu­lierende alte, eitle Säcke. Das Problem ist das Wort „ich“. Und ich möcht’ mir solche Zwangsvorstellung beim Lesen doch bitte verbitten! Ich will ihn mir bei so was nicht vorstellen müssen, ihn, den berühmten, großen Saftigen himself mir seiner 78 Jahre alten nackten Schrumpelschnecke, ihn, den 78 Lenze zählenden G-Punkt Grass. Wie er sich nackig macht und so bedichtet:
„Komm, sieh mir zu,
ob ich den Kopfstand schaffe.“

‚Scheiße! Notruf! Ambulanz!’ möchte man rufen.‚So helf ihm doch einer!’
Ach was!
Er und sein Lümmel,
die schaffen das!
Hey cool, voll krass,
echt! Günter Grass!
Du Leichtathlet, Nobelschwanzträger!
Pimmelprotz und Weiberschräger!
Ja, rammtammtamm, ja rammtammtamm,
hier kommt der dicke Eiermann.
Nein, jeder kann in seinen 4 Wänden tun und lassen, was er will. Die Turnerei im Bett aber affig in Versform zu schütteln und zu trommeln,
bis sich der letzte Eros verpfiffen hat, & dann für pralle, unverschämte
36 Euro zu verscherbeln – nur um nebenbei auch die nächste Schüler­generation bis in den Tod zu langweilen, tendiert volle Möhre – meines Wissens – zumindest ins Fragwürdige.
Grass weiß das. Auch. Doch diskutabel scheint ihm nur die fragwürdige Ästhetik, die so ’ne Halsbrecher- Nummer mit sich bringt. Mit anderen, d.h. mit seinen Worten:
„Drum bitt um Nachsicht ich,
wenn meine Kopfständ gleichen
letztendlich einem Fragezeichen.“


Ist das jetzt komisch? Oder tragisch? Oder Müller-oder-was? Oder wie? Fest steht nur eins: Es waren „die letzten Tänze“ der Sozialdemokratie.

Sep. 2003
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