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Rache für Rotterdam

„Rudi Carrell - Sein Leben “ von Jürgen Trimborn

Liebe Leser!
Im Gegensatz zur Diktatur, meine Damen und Herren, gehört es zum Wesen der Demokratie, dass sich das Volk über seine Politiker nicht beschweren kann. Denn es hat sie selbst gewählt. Und seitdem durch einen gewissen Quotendruck die Demokratie auch in allen Fernseh- kanälen ausgebrochen ist, braucht sich kein Mensch mehr über den Zustand dieser Gesellschaft irgendwelche Illusionen machen.
Vor 4 Jahren, am 20. 12. 2002, an dem sonnigen Tag, als Rudi Carrell end­lich vom Schirm verschwand und seine 7 Kröpfe alleine weiter ihre Witze würgen mussten, notierte die trockene Frankfurter Rundschau,
die normal nicht zum Scherzen tendiert:
„Deutschland hat nun 37 Jahre Carrell-Humor hinter sich.
Das ganze Ausmaß der Schäden wird sich erst in ein paar Jahren zeigen. Anlass zu übermäßigem Optimismus aber
be­steht nicht wirklich. Denn die Saat, die Carrell nicht nur ausgestreut hat, sondern als Produzent auch noch weiter-
hin fleißig gießen wird, ist aufgegangen und heißt heute Comedy.“

Wie war das möglich? Wie kam dat? Wer hat Schuld?
Nach Krieg und deutscher Besatzung waren die Nieder­lande weitgehend zerstört, Moral und Widerstandskraft praktisch am Ende, und die Men­schen hatten Wichtigeres zu tun, als angehende Witzbolde mit albernen Frisuren zu kontrollieren. So fiel es kaum auf, dass ein emsiger Hallo­dri namens Rudi Carrell die Chance seines Lebens ergriff und ungestört an sog. „Gags“ basteln konnte, und an „lebenslusti­gen Liedern und amüsanten Melodien zum Mitsingen und Mitklatschen“.
Und '61 kam auch drüben das, was kommen musste: das Fernsehen.
4 lange Jahre lang flimmerte, wie man so sagt, dann die „Rudi Carrell Show“ in die gebeutelten niederländischen vorhanglosen Wohnstuben, wobei es sich der tolle Showmaster nicht nehmen ließ, während der Sendung (wenn es sich um Aufzeichnungen handelte) von Fenster zu Fenster zu eilen, um von draußen an die Schei­ben zu bollern und lustig-lustig „Hallo! Hier bin ich!“ zu rufen. Schon damals warf er Torten in die Gesichter seiner Gäste, kippte ungezählte Eimer Wasser über deren Köppe & lachte sich nass. Er nannte es „einen bunten Abend für die breite Masse“, und als den Holländern das alles zu bunt wurde, schoben sie ihn nach Deutschland ab. Dem Hannes Heesters hinterher. Das war die Rache für Rotterdam.

Der Rest ist Geschichte. Unter andrem Filmgeschichte: „Wenn die tollen Tanten kommen“ hieß der erste, in dem es die tolle, überra­schende Szene gibt, „in der der Rudi kalten Spinat ins Ge­sicht bekommt, der einen Kuhfladen simulieren soll“. Es folgten noch „Die tollen Tanten schlagen zu“, „Tante Trude aus Buxtehu­de“, „Himmel, Scheich und Wolkenbruch“ und „Hochwür­den drückt ein Auge zu“, allesamt keine Ausrutscher oder Versehen, oder „Schund“, wie Rudi selber später sagte, sondern Fleisch vom Fleische, Carrell-Kunst at the top of the pop. Besser war er nie.
„Hochwür­den drückt ein Auge zu.“

Und damit wär’n wir beim Thema, bei seinen amourösen Privateskapa-
den – d.h. da, wo wenigstens hin und wieder eine Stimmung aufkommt,
die man dem spritzigen Torten­freund gar nicht zugetraut hätte:
„Als ich Mitte der sechziger Jahre Holland verlassen habe, stand ich mit einem Kollegen vor einer Holland­karte, und ich habe zu ihm gesagt: ‚Wenn ich bei jedem Ort, in dem ich was mit einer Frau hatte, ein kleines Fähnchen reinstecken würde, könnte ich auch gleich eine niederländische Fahne über die ganze Karte hängen.“
Nicht dass n falscher Eindruck entsteht: Ich zieh den Hut vor jemandem wie Rudi Carrell, der alles aus dem Weg fickte, was bei 1 nicht auf dem Fahrrad saß.
Ob innerehelich, außerehelich, über­ehelich oder aber unterehelich,
zu zweit, zu dritt, allein, zu viert,
im Bett, im Tran, im Busch, im Wahn,
im Suff, im Puff, im Vatikan
im Wald, im Klo, zu Hause odersonstwo –
wer liebt, hat Recht.
Nur:
Wenn die BILD-Zeitung mal außer der Reihe Rudis allerneuste Neben- nummer unabge­sprochen der Öffentlichkeit präsentiert, ist es doch recht ulkig, dass er am nächsten Tag direkt zum Kölner Express rennt und rumkaspert:
„Ich finde es eine Unverschämtheit, dass meine Frau aus der Zeitung erfahren muss, dass ich fremdgehe.“

Oder seine „Tut, tuut!“-Geschichte! Die geht nämlich so:
„Mitarbeiterinnen berichteten schon früher, dass der Show­master ihnen während der Arbeit völlig unver­mittelt mit beiden Händen auf die Brüste drückt und dabei ausruft: ‚Tuut, tuut!’“
Weiter schreibt Rudis Biograph Jürgen Trimborn – ein Mann, von dem man auch nicht so genau weiß, auf wel­chem Planet der eigentlich lebt:
„Die gleiche Geschichte zu diesem vermutlich hundert­fach von Rudi gemachten Gag, über dessen Geschmack man fraglos streiten kann, hat der stern bereits 1983 berichtet:
‚Sag mal Auto’,
sagt Rudi in einer Drehpause zu sei­ner Sketchpartnerin Beatrice Richter.
‚Sag das bitte nicht!’
ruft ihr die Maskenbildnerin zu. Etwas irritiert sagt Frau Richter dann trotzdem:
‚Auto.’
Da greift Rudi ihr an die Brüste und macht:
‚Tuut, tuut!’
Als praktizierender Humorist neigt er manchmal zu Miss-
griffen“, erläuterte der stern. „Die Frauen im Studio ver-
drehen ärgerlich die Augen, als wären sie alle schon mal
‚Auto’ gewesen.“

Weiter:
„Rudis Tochter Annemieke erinnert sich: ‚Das war immer ein Standardscherz von Rudi. Den hat er mit mir auch jedes Mal gemacht. Wenn ich ihn besucht habe, hat er mich jedes Mal gefragt: Wie bist du her­gekommen? Und ich bin jedes Mal wieder drauf reingefallen, weil ich in dem Moment nicht daran gedacht habe, und hab gesagt: Na, mit dem Auto. Und dann hat er ‚Tuut, tuut!’ gemacht. Aber dass er das auch bei anderen Frauen und dann noch bei Journalistinnen machte, hat mich schon etwas verwundert.“

Wie dem auch sei. Helmut Kohl hat sich mal bei der ARD über Rudi Carrell beschwert und geschrieben:
„Ich weiß nicht, ob Herr Carrell bekloppt ist oder nicht. Ich weiß nur, dass die zuständigen Programm-Macher offen­sichtlich jeden Sinn für Geschmack, Takt und das Maß des Zumutbaren verloren haben.“
Zumindest trifft das auf den Humor von Carrell zu. Deswegen hätte Kohl ruhig noch hinzufügen können:
Herr Carrell mag in seinem Leben alles Mögliche gewesen sein, gestreift, kariert oder kleinkariert - nur eines war er nicht: eine, aber auch nur eine einzige Sekunde lang WITZIG!
Gute Nacht.

Sep. 2006
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