Das Tagebuch

14.9.20
„Was soll denn der Quatsch?“
Bezüglich der Aufnahme der obdachlosen Geflüchteten von Moria zeigte sich die Große Koalition am Wochenende selten so zerstrit­ten. Für 150 plädierte Horst Seehofer, Markus Söder nannte keine konkrete Zahl, war aber durchaus offen für ein paar mehr, Friedrich Merz („Was soll denn der Quatsch?“) verweigerte die Nennung einer bestimmten Zahl, hielt gleichwohl eine europäische Lösung für zwingend, aber nicht realistisch, Norbert Röttgen sprach von einem „christlich-demokratischen Anspruch“ und übern Daumen „5000“ und Arnim Laschet von mehr oder weniger.
Die SPD erzählte irgendwas von einem „einmaligen Notfall“, der „sich allerdings nicht wiederholen sollte.“ Parteichefin Soundso Esken sprach von einer „vierstelligen Zahl“ und meinte, Deutsch­land müsse in seiner aktuellen Position der „EU-Ratspräsidentschaft einen substanziellen Beitrag leisten“, Olaf Scholz war wohl irgend­wie „verhindert“ und Parteivize Kevin Kühnert forderte Seehofer zum sofortigen Rücktritt auf, sollte dieser seine Haltung nicht sofort ändern.
Und der traurige Rest?
Die Grünen nannten bislang keine konkrete Zahl. Aber es müssten mehr sein als die von Seehofer genannten 150 Menschen. Es gehe „hier nicht um einen deutschen Alleingang, sondern um Vorange­hen“, sagte Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt und wischte sich eine Strähne aus dem Gesicht. Und die Grünen-Chefin Annalena Baerbock plädierte dafür, die obdachlosen Men­schen von Moria auf Kreuzfahrtschiffe zu verteilen.
Die Linksfraktion forderte, Deutschland solle in diesem und auf jeden Fall im ersten Schritt alle Menschen, die durch die Brände in Moria obdachlos wurden, aufnehmen, soweit diese nicht in andre aufnah­mebereite Länder möchten. Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch forderte finanzielle Sanktionen gegen EU-Staaten, die sich weigern, Flüchtlinge aufzunehmen, und Parteichefin Katja Kipping hielt eine europaweite Verständigung für die beste Lösung.
Die FDP mahnte zu mehr Einsatz(gruppen?) für eine gemeinsame europäische Migrationspolitik. Das Jahr 2015 dürfe sich nicht wie­derholen.
Und die AfD lehnte nach wie vor eine Aufnahme von Flüchtlingen aus Griechenland strikt ab. Fraktionschef Alexander Gauland sprach von einem erneuten „katastrophalen Signal mit verheerender Sogwirkung“. Das dürfe nicht geschehen.
Was im Prinzip ja auch alle andern genau so unterschrieben haben würden, wenn keine Kamera läuft und der Ton abgeschaltet ist.
P.s.:
Komischerweise war von der Heiligsprechung Horst Seehofers durch Papst Franziskus (siehe Eintrag vom 12. September) überhaupt nicht mehr die Rede.
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