Das Tagebuch

11.10.20
Kasper, Melchior, Hoppsassa
Rassismus im Christentum! Wo gibt‘s denn so was?!
Über, unter oder besser durch Ulm, einem beschaulichen Hinterpo­semuckeldörflein hart am Rande des Baden-Württembergischen, mit dem der Rest der Welt bisher, wenn‘s hochkommt, höchstens den beliebten Zungenverhaspeler „In Ulm, um Ulm und um Ulm herum“ verbunden hatte, war wohl vor einigen Monden ein mächtiger Hauch der Postpostpostmoderne geweht und hatte in der evangelischen Gemeinde mit dem Furor protestantischer Bilderstürmerei mächtig für Unruhe gesorgt.
Schuld, Dreh- und Angelpunkt war ein kunsthandwerkliches Detail der weihnachtlichen Krippenfiguren-Community in Gestalt unseres afrikanischen Mitbürgers König Melchior, auch bekannt als einer der drei Weisen aus dem Morgenlande, welcher vom Künstler, der kolo­nialen Tradition treuen Herzens verpflichtet, genau so zusammen­gezimmert worden war, wie sich der Otto-Normal-Europäer bis zum heutigen Tage einen echten Bimbo nur vorstellen kann, eben zu sein hat, nämlich rabenschwarz, mit wulstigen Lippen, Knubbelnase und abgenagten Knochen in der Haarkrause, nee, pardon, mit güldenem Armreif als Zeichen seiner neureichen Stammesposition im heimat­lichen Kral oder so.
Ergebnis des eifrigen, evangelisch-demokratischen Weltverbesse­rungs-Diskurses war dann aber nicht die Frage: Kommt das schwarze Püppchen jetzt ins völkische Museum für angewandten Rassismus? Oder wird das Corpus delicti einfach ersetzt durch einen grünen oder violetten oder sonstwie gefärbten weisen, sternekundigen Oberhäuptling aus den Weiten der Serengeti?
Nein, die Antwort hieß ganz traditionell: Der Neger muss weg. Schlicht und ergreifend weg. Und so wurde er dann auch nach abendländischer Sitte wieder entsorgt. Der Mohr hatte damit noch ein letztes Mal seine Schuldigkeit getan. Der Mohr konnte gehen.
Fazit:
Die Ulmer Christengemeinde wird mit ihrem unverstandenen, kurzen Anflug von kritischer Vernunft selber klar kommen müssen. Für mich als Bewohner des nicht minder apokryphen Haufendorfes Colonia aber stellt sich unerwartet ein neues Problem: Was ist jetzt mit den heiligen Gebeinen der heiligen drei Könige, die seit ihrer Wanderschaft durch die Abendlande bekanntlich in der heiligen Gruft des Domes zu Kölle vor sich hin gammeln? Wer war denn dann da der dritte Mann?
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