Das Tagebuch

17.7.21
Und noch ‘ne interessante Entschuldigung ist zu vermelden
Du kriegst von ihm alles, was du willst, nur keinen graden Satz ohne Hintertürchen,
kein Wort ohne doppelten Boden,
keine Rede ohne Ausrede
keine Regel ohne Rumgeeier,
keine Wahrheit ohne Lüge,
keine Legende ohne Zweifel,
keine Äußerung ohne Zweideutigkeit,
keine Ambivalenz ohne Dreideutigkeit,
kein Sommer ohne Hoch,
kein Arsch ohne Loch
und kein Versprechen ohne 120prozentige Sicherung durch die „letzte Instanz“...
(Ahnen Se schon, um wen sich's dreht?)
Keine Tickets ohne Rückfahrschein,
keine Bindung ohne Netz,
keinen Eidschwur ohne Heucheln,
keine Richtschnur ohne Hampeln,
kein Einerseits ohn‘ Andrerseits,
kein Wenn ohne Aber,
kein X ohne U,
keinen Tipp ohne Gewähr,
kein Hin ohne Her,
keine Bücher ohne sieben Siegel,
keinen Hasen ohne Igel,
kein Hüh ohne Hott und keine Litanei ohne Gott.
Und vor allem keine Entschuldigung im „Oscar“-reifen Mea-culpa-Ton jemals never ever ohne Mikrophon.

Und es begab sich gestern in seinem Münchener Jammertal Gar­ching an der Alz, dass es dem Erzbischof von München & Freising, Kardinal Reinhard Marx, beim Lustwandeln im dortigen Gelände plötzlich überkam, sich mal eben mit entsprechender Medienbe­gleitung für 1000mal durchgekaute, längst verjährte Fälle von Missbrauch bei seiner Gemeinde wortreich & theatralisch zähne­knirschend zu entschuldigen und sog. Fehler einzuräumen:
„Dass ein Pfarrer, der des Missbrauchs überführt war, bei Ihnen eingesetzt war, ist eine Katastrophe und ich entschuldige mich.“ (Jaja ja, da gab‘s wohl mal einen. Aber was war denn da noch mal genau passiert?)
„Das System Kirche hat versagt.“ (Echt? Interessant! Es gab keinen Täter und es war nicht das System. Das System hatte nur versagt!)
„Es ist ein Versagen der Institution, für die ich um Entschuldigung bitte.“ (Jaja, is ja jut. Nur auf dieses ominöse Versagen darf ich doch später noch rekurrieren, oder?)
„Auch persönlich bitte ich um Entschuldigung; denn auch nach 2010 hätte vieles besser laufen können.“ (Ach ja? Hätte, hätte, Pfarrer­kette oder wie?)
„Wir haben wahrscheinlich etwas unterschätzt, was an Spannungen und Verwundung und Verletzungen da ist.“ (Ja, wahrscheinlich.)
„Ich weiß inzwischen, dass Aufarbeitung eine lange Geschichte ist und viele das unterschät­zen.“ (Obwohl wir sie ja ansonsten immer sehr schätzen, die langen Geschichten. Aber egal.)
„Ich habe jetzt keinen konkreten Punkt, wo ich sage, da habe ich jetzt was vertuscht.“ (Nee, is klar.)
„Aber ich kann doch von mir nicht behaupten, ich hätte immer alles ganz genau gewusst.“ (Nee, kannste auch nich.)
„Manchmal habe ich womöglich nicht genau genug hingeschaut. Hätte ich mich nicht anstrengen müssen, mehr zu wissen?“
(Ja, kann sein. Kann alles sein. Is mir aber auch völlig schnuppe.)

Kein Tag ohne Friede,
keine Nacht ohne Freude,
kein Morgen ohne Eierkuchen,
keine Minute ohne Schuld,
keine Woche ohne Brüderlichkeit,
keinen Monat ohne Verlogenheit
und keinen einzigen Moment im Leben ohne Gott,
den allmäch­tigen Vater, die heilige Auto-Absolution!

Wie gesagt, ich wollte ja nur noch mal auf das Wort 'Versagen' zurückkommen, Monsignore Exzellenz. Also once more Versagen:
Versagen setzt doch voraus, dass man etwaiges Versagen immer antizipieren kann und muss, also zumindest theoretisch in Betracht zu ziehen hat. Wenn aber der Missbrauch jahrzehntelang gar nicht als solcher erachtet, sondern als völlig normal betrachtet wird wie auch seine Vertuschung, dann wäre das Versagen doch auch kein Versagen mehr- könnense mir noch folgen, Käpt'n Iglu? - sondern schlicht und ergreifend und selbst nach den logischen Gesetzen der toten Gehirnmasse von Bruder Woelki ein Verbrechen, oder was meinen Euer Hochwohlwiedergeboren?
Ach, und eine klitzekleine kurze Zusatzfrage sei mir armen sündigen Erdling noch gestattet:
Wenn das Wort 'Versagen' also schon auf Vertuschung hinausläuft, verbleibt der Begriff 'System' doch zugegebenermaßen korrekt. Jetzt ist aber dieses System etwas älter als die ewig angeführten paar Jahrzehnte von 1950 bis ‘80. Daher meine Frage: Wer über­nimmt eigentlich die Entschuldigung für all die „Fälle“ aus der Zeit – sagenwamal und wollnja nicht dabei allzu ungerecht erscheinen – pi mal Daumen von ca. 315/317 an bis 1950, Herr Marx?
Wie, der liebe Gott?! Ach, der liebe Gott!!! Den hatt‘ ich ja völlig vergessen! Na, Sie sind mir aber auch ein Schlawiner, Sie päpstli­cher Ehrenkaplan, Sie!
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