Das Tagebuch

5.1.22
Differenzieren,
wo‘s nix zu differenzieren gibt
Sie wurden nicht von einem schlimmen Diktator gleichgeschaltet, sie wurden nicht von clandestinen, militanten Mächten gezwungen, sie wurden auch nicht von irgendwelchen Juden erpresst und sie standen auch nicht unter Drogen, die ihnen von apokryphen Dunkel­männern im Schlaf verabreicht wurden, nein, sie sind ganz einfach nur alle einer Meinung.
Und wenn in allen Zeitungen heute auch dasselbe steht - wie z.B. im ‚Kölner Stadtanzeiger‘: „Experten warnen vor einer Vereinnah­mung des Protests durch Extremisten,“ dann sind auch diese Jour­nalisten nicht gleichgeschaltet, gezwungen, erpresst oder sonst was worden – nee nee, dann sind sie eben auch alle nur einer Meinung. Einer Meinung, die sie nachgeplappert haben. Einer Meinung, ohne nachgedacht zu haben. Einer Meinung, die an jeder Straßenecke umsonst zu haben ist. Und für so ne billige Gratis-Meinung, finde ich, brauch ich auch keine Zeitung, die ich zudem noch bezahlen soll.
Und trotzdem ist Ihr Blatt, werter ‚Stadtanzeiger‘ lesenswert und wichtiger denn je! Weil man nämlich dort durch simple Lektüre er­kennen könnte, was hier eigentlich so los ist, wenn man die simple Lektüre etwas genauer betrachten würde und in der Lage wäre, ab und zu das Unbewusste zwischen den Zeilen zu lesen. Im Kontext mit den sog. „Spa­ziergängen der Querdenker“ steht bei Ihnen heute also zum Beispiel geschrieben:
„Experten warnen vor einer Vereinnahmung des Protests durch Ex­tremisten.“
Und da hätt ich dann aber doch noch so einige Fragen:
Wer sind denn schon wieder diese Experten? Und wofür braucht man überhaupt Exper­ten, wenn doch jeder Blödmann auf den 1. Blick sieht, dass keiner von diesen „Spa­ziergängern“ was dagegen hätte, wenn er denn von einem an­deren Spaziergänger „vereinnahmt“ würde? Sie gehen offen­sicht­lich bei Ihrer 'Warnung vor Vereinnah­mung' davon aus, dass es sich bei den Spa­ziergängern um 2 grund­verschiedene Gruppen handelt: einmal die „Extremisten“ (= böse) und zum anderen die, die „pro­testieren“ (= ernst zu nehmende). Und geh ich wirklich recht in der Annahme, dass Sie die Ansichten derer, die Sie vor der Vereinnahmung durch Rechtsextremisten warnen möchten, wenn auch nicht gerade supi oder dufte finden, aber doch als ernstzuneh­mende ansehen, so interessante Ansichten wie „Lügenpresse, halt die Fresse!“ oder „Merkel an den Galgen!“ Meine Fragen:
Sind Ihnen solche Ansichten noch nicht extremistisch genug? Was sind denn Ihrer Ansicht nach die Absichten der Extremisten? Sie betonen an anderer Stelle immer wieder, dass Sie die sog. Ernstzu­nehmen­den unbedingt in Ihre alte, übliche, etablierte Ordnung zurückholen möchten. Wenn es aber gar keinen erkennbaren Unter­schied zwischen den beiden Gruppierungen gibt, warum bemühen Sie sich dann nicht auch um die Sympathien der „Extremisten“? Dann hätten se se doch alle!
Ich könnt‘ es Ihnen, wenn ich wollte, explizieren, aber es würde vermutlich sehr, sehr lange dauern, sehr lange, und dann würden Sie ja doch am Schluss wieder Ihren alten Stiefel …
… ach, wissen se was? Vorschlag zur Güte: Schießen se sich doch simpel auf die dunkle Seite des Mondes. Da brauchen se auch keine lästigen Fragen zu be­antworten.
(Nur bezahlt Sie da niemand. Wär manchmal zumindest von Vorteil ...)
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