Das Tagebuch

26.1.23
Alle meine Tiere
Mal abgesehen davon, dass die Bewohner der „Dritten“ und „Vier­ten Welt“ es schon seit Ewigkeiten gewohnt sind, mehr oder weni­ger alles gebraten, gekocht, roh oder lebendig zu verputzen, was 6 Beine hat und trotzdem zu langsam ist, um sich schnell genug vom Acker zu machen, und wir hier auch seit einiger Zeit diverse Insek­ten im Sonderangebot haben, welche uns die Lebensmittelindustrie im anonymisierten weil ganz und gar zerbröselten Zustand ins hors d‘oeuvre kippt wie z.B. den Mehlwurm und den Grashüpfer, und natürlich abgesehen von den weniger unterhaltsamen Tierchen wie Läuse, Wanzen, Schaben und den nichtsnutzigen Silberfischchen, die wir sowieso hier rumrennen haben, also abgesehen von dem und dem und alledem hat die EU nu dieser Tage nach langen, intensiven Verhandlun­gen zwei kleine Viecher zusätzlich zum Abschuss freige­geben, die Hausgrille (Acheta domesticus), als Ganzes gefroren oder getrocknet oder zu einem Pulver atomisiert, und die Larven des Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfers (Alphitobius diaperi­nus), und als „neuartiges Nahrungsmittel“ zugelassen.
(Pardon, ich weiß gar nicht, wo die immer alle her kommen, aber manchmal hab ich in meinem Text plötzlich so dermaßen lange Bandwurmsätze – oder ist Ihnen das egal?)
Wahrscheinlich hätte man klugerweise viel früher mit der „nachhal­tigen“, massenhaften Insektenfresserei anfangen und die gesamte „Landwirtschaft“ nicht dem Teufel oder ausgerechnet Bayer über­lassen sollen.
Ich komme zum Schluss:
Auch bei diesem Thema zeigt sich wieder mal, dass wir, die armen Mönschen, hier auf Erden artenmäßig nicht nur eine komplett über­holte, antiquierte Minderheit sind (siehe auch, falls Sie noch Zeit haben: Günther Anders, "Der antiquierte Mensch", Bd. I u. Bd. II), sondern auch für den weiteren Fortbestand der Welt eigentlich gar nicht gebraucht werden. Wir leben im Insek­ten­zeitalter; d.h. und daraus folgt: als die mit Ab­stand artenreichste Klasse haben nur diese Viecher den Anspruch auf den Herrscherthron, der Kartof­felkäfer und die Mücke, das wären, wenn‘s nach Mehrhei­ten ginge, das einzig rechtmäßige Kaiserpaar auf diesem Planeten.
Das Dumme ist nur, liebe Kerbtiere, liebe Insekten, werte Viecher, der Mönsch hat allein in den letzten 50 Jahren über 70 Prozent von euch blindlings und für nothing ausradiert und weggeputzt. Und da könnt ihr eure Mandibeln noch so weit aufreißen und mit den Bein­chen auf den Waldboden stampfen: Aus eurer weltweiten Insekto­kratie wird wohl nix mehr werden. Tja, knabber, knabber, sum sum sum. C'est la vie.
(Ich wüsste aber auch nicht, was denn besser wäre: So wie's ist zu belassen oder sich einer höchstwahrscheinlichen Terrorherrschaft durch den Glänzendschwarzen Getreideschimmelkäfer zu beugen ... Und dann wäre da ja noch die Sache mit dem Ekel. Würde mir auch schwerfallen, mich in der Angelegenheit zu entscheiden. Tendiere da letztlich aber eher zu: Nur ein toter Glän­zend­schwarzer Getrei­deschimmelkäfer ist ein guter ...)
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