Das Tagebuch

13.6.23
The kids are not alright
Vor 10 Tagen schrieb der ‚Kölner Stadtanzeiger‘, dass der Verlag ‚Kiepenheuer & Witsch‘ den Gedichtband des Rammstein-Sängers Till Lindemann „In stillen Nächten“ aus dem Programm genommen und die Zusammenarbeit mit ihm mit sofortiger Wirkung beendet habe, weil – so der Verlag wortwörtlich - „mehrere Frauen schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben“ hätten. Bei ‚Kiwi‘ sagt man jetzt, Lindemann „überschreite unverrückbare Grenzen im Umgang mit Frauen.“ Ja, und bei ‚Kiwi' arbeiten Leute, die sich selber eher als Linke bezeichnen würden. Heute kann man also getrost davon aus­gehen, dass man „lechts und rinks“ durchaus und guten Gewissens „velwechsern kann“ (Ernst Jandl). So wie früher auch. Punkt, aus, fettig. Alles klar?
Oder noch mal genauer für die Doofen und die neue Gemeinschaft der inzwischen größenwahnsinnigen Zwergschulpädagogen?
Okay? Okay::
A: Diesen Lindemann konnt ich noch nie ab! Auch als Kunstfigur ist der mir immer schon mit seinem penetranten Hitler-R und den nerv­tötenden Anleihen aus der totgerittenen Riefenstahl-Ästhetik auf den Sack gegangen. Und war mir suspekt.
B: Auf den Sack gehen ist nicht angenehm, aber im Zweifelsfalle eben Geschmacksache.
C: Der Kölner Verlag „K&W“ war, so weit ich das mitgekriegt habe, immer für verfolgte Literaten ein offenes Haus, wo sie mit Solida­rität rechnen und nach Lust und Laune weitermachen konnten.
D: Helge Malchow sei Dank.
E: Auch wenn ein Finsterling wie Lindemann einem auf die Eier geht, bleiben schwere Vorwürfe schwere Vorwürfe.
F: Die aber sind nur dann relevant, wenn sie höchstrichterlich bestätigt werden.
G: Aber vor allem sind sie irrelevant, wenn es sich um Literatur handelt. Weil man in der Literatur, egal ob sie einem auf die Nüsse geht oder nicht, zwischen Autor und Werk immer hübsch differen­zieren muss.
H: Nur in islamischen, faschistischen, stalinistischen und ähnlich vermurksten Ländern ist die goldene Regel „De gustibus non est disputandum“ unbekannt.
I: Selbst wenn ein Autor heute seine Hauptfigur, ein süßes kleines Mädchen „Pippi Langstrumpf“ nennen würde, was wohl kaum noch passieren wird, ist das Geschmack­sache und nicht die der Staats­anwaltschaft.
J: Und da simmer auch schon wieder bei Jott.

Auf die „neuen“ Lektoren von „Kiwi“ kommt so gesehen aus zwei Richtungen also viel Arbeit zu: Alles, was „Kiwi“ an Literatur bis gestern veröffentlicht hat und weiter verkauft werden soll, muss nach alter bzw. alternativer Art gesäubert werden. Und zweitens alles, was in Zukunft noch kommen soll.
Ich wünsch euch noch viel Spaß. Und vielleicht helfen euch ja auch ein paar gleichgesinnte, freiwillige Sauberkeitsfanatiker der AfD, der Arschlöcher für Deutschland.

P.s.:
Übrigens. Ihr könnt euch die schwere, verantwortungsvolle Aufgabe ja auch etwas erleichtern, indem ihr euch als erstes die Bibel zur Brust nehmt. Da, im Buch der Bücher, steht nämlich alles drinne, was sich der Mensch bisher theoretisch wie praktisch auf dem wei­ten Feld der „schweren Vorwürfe“ so geleistet hat. Dann könnt ihr bei eurer kriminellen Suche nach neuen Lieblingsstellen einfach mit rot an den Rand schmieren:
„Bezugnehmend aufs AT u. auf Mt., Mr., Lk. und Joh. 1 bis Ende der Geschichte': streichen, weg damit und ab die Laube!"
Donnerwetter, die Bibel säubern, einstampfen und verbieten!? Eine große, eine gewaltige, ja eine Jahrhundertaufgabe!
P.s.:
Oha, hoppla, da fällt mir grad auf, bei "Kiwi" ist die Bibel ja gar nicht erschienen! Menschenskind, da is der Kelch an euch ja noch vorüber gegangen.
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